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Fenster aus Eilenburg lassen Frischluft rein – der Lärm aber bleibt draußen

Gerold Schwarzer (r.) und Wolf von Trotha begutachten ein fast fertiggestelltes Schallschutzfenster mit Absorbern in den Zwischenräumen.

 

Fenster aus Eilenburg lassen Frischluft rein –
der Lärm aber bleibt draußen

 

Lärm kann krank machen, Schallschutzfenster können helfen. Doch was ist mit der frischen Luft? Die Firma Eilenburger Fenstertechnik hat eine Innovation auf den Markt gebracht, die beides vereint. Die Chefs bewerben sich jetzt für Sachsens Unternehmerpreis.

Die Altbauwohnung in Leipzig ist schön, geräumig und leider auch laut. Was am Straßenlärm und den Fenstern liege, sagt Wolf von Trotha, der seit Ostern dieses Jahres in Leipzig lebt, und dem die Stadt bereits ans Herz gewachsen ist. Wäre da nur nicht dieser Autokrach, wenn man lüftet.

Als Chef einer Fensterbaufirma weiß er: Helfen könnte ein Schallschutzfenster. Nicht irgendeines, sondern ein Hafencity-Fenster – das auch, wenn es geöffnet ist, den Schall erheblich mindert. „Dabei handelt es sich um ein Kastenfenster“, erklärt von Trotha und führt durch den Ausstellungsraum der Eilenburger Firma. Das Prinzip sei schnell erklärt: Zwei hintereinander angeordnete Fenster werden geöffnet, also angekippt. Die frische Luft gelangt so ins Zimmer, der Lärm bleibt aber weitgehend draußen.

Eilenburger Neuerung gibt es in verschiedenen Größen und Farben

Wie der Name verrät, hatten findige Köpfe an der Küste die Idee mit dem Hafencity-Fenster. Genauer in Hamburg. „In der wachsenden Stadt“, sagt der 45-Jährige, „musste Wohnraum her. Platz gab es am lauten Hafen.“ In der Ausstellung im Firmengebäude in Eilenburg sind verschiedene Fenster in unterschiedlichen Größen mit zwei, vier und mehr Doppelflügeln zu sehen. „Wir haben das Prinzip aufgegriffen und weiterentwickelt.“

2014 erreichte das Unternehmen eine Anfrage aus Regensburg in Bayern. „Ein Investor wollte für ein Seniorenwohnprojekt Hafencity-Fenster verwenden. Doch die bis dahin üblichen Typen hätten nicht den geforderten Schallschutz erreicht“, weiß von Trotha, der zwar erst seit Ostern die Geschicke der Firma lenkt, aber bereits seit 2012 als Gesellschafter an Bord ist. Die Eilenburger nahmen die Herausforderung an und entwickelten das Hamburger Modell weiter. Mit dem Ziel, ein neues Prinzip mit noch höheren Schallschutzwerten bei gekipptem Fenster zu erreichen.

Frischluft wird durch mehrere Absorber geleitet

Im Inneren des Kastenfensters, das der 45-jährige Unternehmer öffnet, sind dicke Materialien mit kleinen Öffnungen verbaut. Durch diese Absorber wird die Frischluft geführt, mehrfach umgeleitet und so der Schall weit stärker als beim normalen Hafencity-Fenster geschluckt. Im Zimmer kommen dann bis zu 48 Dezibel (dB) weniger Lärm an. In der Praxis bedeutet das: Bei einem Geräuschpegel von 75 dB auf der Straße, absorbiert das Eilenburger Fenster 48 dB, sodass im Zimmer gerade einmal 27 dB ankommen. „Handelt es sich um das Schlafzimmer, würde unser Fenster für einen ruhigen Schlaf mit Frischluft sorgen.“

Nicht nur der Bauherr in Regensburg sei damals ein Risiko eingegangen, sondern auch die bis vor Kurzem noch von Gerold Schwarzer geführte Firma. Das Risiko habe sich mehr als gelohnt. Die patentierten Eilenburger Fenster machten heute einen nicht unwesentlichen Teil des Jahresumsatzes von zuletzt zehn Millionen Euro aus. Überhaupt zeigt sich von Trotha sehr angetan von seinem Vorgänger, der altersbedingt mit 77 Jahren den Geschäftsführer-Posten zwar geräumt hat, aber immer noch im Unternehmen mitwirkt, zeitweise in der Forschung und Entwicklung.

Eilenburger Firma meisterte mehrere Krisen

Die Eilenburger Fenstertechnik wird als eines der ersten Joint-Ventures in Sachsen gegründet. Produktionsbeginn mit Kunststofffenstern ist am 2. Juli 1990. Die Firma hatte keinen leichten Start. Von Anbeginn dabei: Gerold Schwarzer, dessen Familie das Unternehmen 2000 mit hohen Bankverbindlichkeiten übernahm. Schwarzer steuerte es sicher durch manches Unwetter. Die Firma versteht sich als Partner der Bauindustrie, ist von der Beratung über die Planung bis zur Montage dabei. 65 Mitarbeiter sind heute in Eilenburg beschäftigt, in der Hochzeit – Ende der 1990er-Jahre - arbeiteten über 70 in dem beeindruckenden Industriegebäude im grünen Gürtel Eilenburgs.

Krisen blieben nicht aus. Etwa 2008. Der Fortbestand der Firma konnte nur durch das Geld neuer Gesellschafter aus Dubai gesichert werden. 2012 wurde dafür eine Nachfolgelösung vor Ort gefunden. Einer der drei neuen Gesellschafter ist Wolf von Trotha. Der Architekt und Unternehmensberater sei über Freunde auf die Firma aufmerksam geworden. Seit seinem Einstieg habe er Schwarzer bei wichtigen Entscheidungen zur Seite gestanden. Ostern wurde er dann zum Geschäftsführer bestellt.

Mitarbeiter halten auch in Corona-Zeiten zusammen

Die Eilenburger Fenstertechnik sei eine besondere Firma, was vor allem am familiären Zusammenhalt im Unternehmen liege. Das zeige sich auch jetzt in der Corona-Krise. Hätten die Mitarbeiter nicht freiwillig einige Opfer gebracht, wäre man bislang nicht so glimpflich davon gekommen. So wurden Überstunden geleistet, im Homeoffice gearbeitet und wenn es nicht anders ging, Kinder im Unternehmen von anderen Kollegen betreut. Die Bauindustrie sei von der Corona-Krisezwar weniger stark betroffen als andere Branchen, „aber verschont werden auch wir nicht“, sagt der Chef. So hätte sich die Vergabe von Aufträge verzögert, konnten Fenster nicht wie vereinbart eingebaut werden, weil der Rohbau nicht fertig wurde oder Zulieferer aus dem Ausland Teile wie Jalousien nicht liefern konnten.

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Aus der Ruhe habe ihn das nicht gebracht, sagt der gebürtigen Bonner, dessen Familie zum Adelsgeschlecht derer von Trotha gehört, das seinen Sitz in dem heutigen halleschen Stadtteil Trotha hatte. Dass Corona aber zu einem ruinösen Preiskampf geführt hat, schon. „Die Unsicherheit in der Krise führt bei Einigen dazu, Aufträge auf Teufel komm raus an Land zu ziehen. Auch wenn sie nicht einmal kostendeckend sind.“

Wolf von Trotha sieht in weiteren Innovationen die Firmenzukunft

Von einem Unternehmensberater, der zugleich noch Gesellschafter ist, könnte man denken, dass er beim Blick in die Zukunft von Umsatzsteigerung oder gar Gewinnmaximierung spricht. „Wir sind an mehreren Innovationen dran. Da sehe ich unsere Zukunft“, sagt der Diplomingenieur stattdessen. So entwickle ein Forscherteam im Haus das Hafencity-Fenster weiter. Mit der Uni Weimar und Partnern aus Grimma geht es, außer um Schallschutz, auch um Themen wie Solartechnik und Energieeffizienz. Als Beispiel zeigt er auf ein Fenster, in dessen Scheibe sich Kapillaren befinden, durch die eine Flüssigkeit läuft. Bei Sonneneinstrahlung erhitzt sie sich.

Innovation sei der Schlüssel, um am Markt bestehen zu können. In der Vergangenheit seien mehrere Großmaschinen angeschafft worden, um die Arbeitsprozesse zu vereinfachen. Die Fenster können heute in nahezu allen Größen und Farben aus Aluminium und Kunststoffhergestellt werden. Das Unternehmen agiere deutschlandweit am Markt. Seit einem Messeauftritt in Vor-Corona-Zeiten in Spanien, wo man erstmals das Eilenburger Hafencity-Fenster vorstellte, kommen auch Nachfragen aus dem Ausland.

Ob er von dem innovativen Produkt der Firma auch seinen Vermieter in Leipzig überzeugen kann? „Es nicht zu versuchen, würde mir unruhige Nächte bescheren.“ Und das im Sinne des Wortes.

Text: Andreas Dunte und Frank Pfütze

Foto: Wolfgang Sens

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