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Mehr als ein Baum-Umarmer

Grün ist für Oliver Riedel und sein Team Programm: Der Chef der Dresdner Biofabrik Rossendorf hat das Gen der Baum-Umarmer und revolutionäre Geschäftsideen.

Sachsen sucht den Unternehmer des Jahres 2019. In einer Serie stellen wir Bewerber vor. Heute: Oliver Riedel aus Dresden. In seiner Biofabrik entwickelt er Technologien gegen Hungersnot und Plastikmüll. Und dann stieß er auch noch auf Öl.

DRESDEN. Der weiße Tesla vor der Tür belegt: Hier denkt einer an die Umwelt. Neben dem Elektroflitzer stehen große Pakete mit gepresstem Plastikmüll und ein nach vorn offener Container mit silbrig glänzenden Innereien. Die Aufschrift „Energie aus Abfall“ lässt ahnen, was die Anlage im Dresdner Ortsteil Rossendorf kann. Doch es ist still an dem Feldrand im Dresdner Hochland. Kein Mensch in Sicht. Kaum zu glauben, dass hinter den Mauern der unscheinbaren Industriehalle Bahnbrechendes geschieht.
„Bei mir sind fast alle schwanger“, begrüßt Oliver Riedel den verdutzten Gast. Und lachend versichert der Chef der Biofabrik Technologies GmbH, nichts damit zu tun zu haben. Er habe eben ein in jeder Hinsicht fruchtbares Unternehmen. Hemdsärmelig bittet er in den minimalistisch eingerichteten Trakt mit Barhockern vor Tresen mit Laptops, großem Flachbildschirm und einer stilisierten Wiese auf der schlichten Betonwand – und beginnt zu erzählen: von sich, dem gelernten Zimmermann „mit Baum-Umarmer-Gen“ und vom kleinen Firmenimperium, mit dem er seinen Traum vom Weltverbesserer lebt.
Das war im August. Mittlerweile sind vier Monate vergangen, und die Sensation, mit der der 42-Jährige in die Öffentlichkeit gehen wollte, ist noch nicht verkündet. „Erst legen, dann gackern“, ist seine Devise. Doch jetzt, da der Funktionsnachweis erbracht ist und neben der Marktreife auch die Zulassungen von der EU und aus den USA vorliegen, darf die Welt wissen, was sich hinter „Revolution Engineering“, so der unbescheidene Titel der Website, verbirgt.
„Wir entwickeln revolutionäre Technologien für kritische Umweltprobleme“, sagt der Geschäftsführer. Er gründete eine Handvoll Unternehmen, darunter Bio- technologiefirmen, die Plastikmüll, Altöl und Altdiesel in Kraftstoff und Strom verwandeln und aus Weidegras Proteine gewinnen, um so ein Ernährungsproblem der Erde zu lösen und einen neuen Rohstoff für Lebensmittelindustrie, Düngemittel-, Tiernahrungs-, Kosmetik- und Pharmabranche zu erschließen. Alles patentiert.
Riedel verbindet Ökologie mit Ökonomie und denkt dabei „disruptiv“. Laut jener, in der Start-up-Szene beliebten, Vokabel werden traditionelle Geschäftsmodelle, Technologien, Produkte und Dienstleistungen
durch Innovationen abgelöst. „Wir arbeiten klima- und energieneutral und reinvestieren unsere Erträge in die Erforschung neuer Technologien“, sagt er. Der wortgewandte Typ hat gleichgesinnte Experten aus Biologie, Chemie, Engineering, Marketing und Vertrieb um sich geschart, in Hoyerswerda einen Prototypenbauer aufgetan, mit Schwarmfinanzierung in acht Wochen eine Million Euro eingesammelt und statt Heuschrecken und Banken einen strategischen Partner ins Boot geholt: die dänische Schur-Gruppe, Weltmarktführer für flexible Verpackungen.

„Ein Rudel von völlig Kaputten“

Der Mitinhaber von Firmen mit Namensbestandteilen wie White oder Green Refinery will in den nächsten Jahren weitere Start-ups entwickeln und „am liebsten ein internationales Netzwerk aus Tausenden Biofabriken – und so die Welt ein kleines Stückchen besser machen“. Für ihr Silicon Valley Made in Germany kämpfen Riedel und sein 30-köpfiges Team an mehreren Fronten.
Der drahtige Vater einer 19-jährigen Tochter war schon 1999 der Zeit voraus. Als es noch kein Smartphone gab, gründete er den ersten deutschen Online-Supermarkt. „Zu früh“, wie er heute einräumt. 2009 verkaufte Riedel, der Einkaufen selbst hasst, den Laden und beschloss mit einem Partner: „Wir machen jetzt was Sinnvolles.“ Seitdem widmet sich „ein Rudel von völlig Kaputten“ den Weltnöten. „Ich kann nichts, außer reden, Leute über ihre Grenzen und Talente zusammenzuführen“, sagt Riedel. Seine Devise: „Wenn du kluge Köpfe hast, musst du sie auch machen lassen!“ Eigenverantwortung motiviere, auch bei diesem Problem: Jährlich geraten 30 Millionen Tonnen Plastikabfall ins Meer. Er landet nicht nur im Magen von Fischen, Vögeln und später von Menschen, sondern auch an den Küsten. Oder er wird regulär in die Dritte Welt exportiert. Während die EU feiert, dass sie sich auf ein Verbot von Einwegplastik wie Strohhalmen geeinigt hat, löst die Biofabrik mit Mini-Raffinerien gleich zwei Probleme: zu viel Plastikmüll und zu wenig Strom. „Eine Box, so groß wie ein Pkw, kann 1 000 Leute aus ihrem eigenen Abfall mit Strom versorgen“, sagt Riedel. Mit China und Kambodscha gebe es bereits Verträge, weitere seien in Arbeit.
Ein anderer Ableger des Unternehmens hat es geschafft, für den Menschen lebenswichtige Aminosäuren aus Gras herzustellen – ganz ohne Massentierhaltung. „Die Kuh frisst Gras, und der Mensch frisst die Kuh. Das ist für alle schlecht – vor allem für die Kuh“, sagt Riedel. Und der ebenfalls aus Grassaft hergestellte vegane Dünger sei momentan der Renner im Internet. Dann stieß Riedel noch auf Öl, an jedem Ort der Welt: Altöl, das das Trinkwasser bedroht. Ein Apparat der Biofabrik, groß wie ein Cola-Automat, verwandelt täglich 2000 Liter des Abfalls in fast so viel Kraftstoff – effizient, profitabel, nachhaltig. Interessant auch für Baustellen, das Militär, Flughäfen.

„Dann muss Wurst auf die Schnitte“

Was sich wie ein Selbstläufer anhört, war Schwerstarbeit und ein Kampf gegen Bürokraten. Ausgerechnet die EU, die sich mit Fördergeld an der Erfolgsstory beteiligt hatte, ließ Riedel bei der Zulassung zappeln. Eine finanzielle Durststrecke. „Nach sechs Jahren Entwicklung muss mal Wurst auf die Schnitte“, sagt der Chef. Endlich läuft der weltweite Vertrieb für Plastik-Strom-Anlagen, in Deutschland sind sie in Betrieb. Der Heilsbringer düst mehr noch als vorher um die Welt, um Vorführstandorte aufzubauen und Anlagen zu verkaufen. Riedel plant im Markteintrittsjahr 2019 einen Umsatz von zehn Millionen Euro und will „2020 richtig durchstarten“.
Auch beim boomenden Superfood setzt die Biofabrik noch eins drauf: Ein „Ultra-food“, das laut Riedel den menschlichen Tagesbedarf an Proteinen, Vitaminen und Mineralstoffen in einem veganen Drink deckt. Mit den werdenden Müttern in seinem Team hat aber auch das nichts zu tun.

 

 

Text: Michael Rothe
Foto: Robert Michael

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