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Optimistische Optimierer

Unternehmer des Jahres – Nominierte vorgestellt

Eine App revolutioniert die Dienstplanung bei der Bahn. Ein Grund, ihre Schöpfer als „Start-up des Jahres“ vorzuschlagen, dem neuen Sonderpreis im Wettbewerb.

Der große Bürokomplex Falkenbrunnen im Dresdner Südosten beherbergt kluge Köpfe – darunter viele, die mit der Technischen Universität Dresden zu tun haben. Inmitten der geballten Kompetenz und nicht leicht zu finden: die Saxony Media Solutions GmbH.

Wer sich in die spartanisch mit ein paar Tischen, Rechnern und Monitoren eingerichteten Räume verirrt, ahnt nicht bei einem Start-up zu sein, das gerade den Markt erobert und sich vor Aufträgen kaum retten kann. Die Gründer Oliver Schönherr und Elias Winter gehörten im Sommer zu den Siegern der 1. Innovation Challenge der Deutschen Bahn, mit 133 Teilnehmern aus aller Welt einer der größten industriellen Wettbewerbe in Deutschland. Die Dresdner hatten sich mit ihrem Softwaresystem zur Personaleinsatzplanung in der Kategorie Kleinunternehmen durchgesetzt. Die Jury würdigte „Problemlösungspotenzial“, Profitabilität, Machbarkeit und „Wow-Faktor“, sprich Innovationsgrad.

„Noch werden die Schichten bei der Bahn per Hand besetzt“, sagt Geschäftsführer Oliver Schönherr. Das sei auch wegen tariflicher Restriktionen – die Bahn spricht von rund 30 Regelungen – aufwendig, und Mitarbeiterinteressen könnten nur schwer berücksichtigt werden. Folge: aufgestaute Überstunden und Frust bei Lokführern, Zugbegleitern und anderen Mitarbeitern.

Kein Wunder, dass die Gewerkschaften das Thema auf den Plan rufen. Der gerade erzielte Tarifkompromiss zwischen Konzern, und Eisenbahn- und erkehrsgewerkschaft (EVG) macht es Einsatzplanern nicht leichter, dürfen die Beschäftigten doch nunmehr ihren Arbeitsort selbst wählen, wenn die Tätigkeit mobiles Arbeiten zulässt. Außerdem können Mitarbeiter statt der Lohnerhöhung die Wochenarbeitszeit um eine Stunde verringern oder sechs Tage Urlaub mehr bekommen – ein Novum in Deutschland. Die konkurrierende Lokführergewerkschaft GDL pocht in ihrer noch laufenden Runde auf zwei zusammenhängende Ruhetage pro Woche und größere Mindestabstände zwischen den Schichtfolgen. All das unter einen Hut zu bekommen gleicht der Quadratur des Kreises.

Die Bahn will verschiedene Arbeitszeitmodelle und beispielsweise mehr Schichtfenster im Güterverkehr auf Alltagstauglichkeit testen. Da kommt die Innovation Made in Dresden gerade recht. Fraßen Postweg, Ab- und Rücksprachen bislang Zeit, Arbeitskraft und auch Nerven, so soll das künftig automatisch und deutlich schneller gehen.

„Die Mitarbeiter bekommen ihre Pläne per App, können Wünsche anmelden und untereinander Schichten tauschen“, erklärt Mitgründer Elias Winter. Krankheiten, Schwangerschaften und Vorlieben der Mitarbeiter könnten berücksichtigt und Tarifregeln eingepreist werden. Das System gleiche die Vereinbarkeit automatisch ab. Der Chef sieht „eine Blaupause für andere Anwender“, denn „die Abläufe sind in fast allen Logistik- und Verkehrsunternehmen ähnlich“. Auch der Einsatz in Krankenhäusern, bei Sicherheits- und Pflegediensten sei denkbar. Die Software könnte die Zufriedenheit der Mitarbeiter erhöhen und krankheitsbedingte Ausfalltage senken helfen, ergänzt Oliver Schönherr (36).

Er und sein 30-jähriger Partner, beide hälftig Eigentümer, kennen sich seit zehn Jahren, waren an der TU Studenten und später Doktoranden. Seither befassen sie sich mit Simulations- und Optimierungssoftware zur Lösung komplexer Vorgänge. Was sich abstrakt anhört, wird vor allem in Produktion und Logistik erlebbar. „Unser Tummelplatz ist die Industrie 4.0“, sagt Schönherr. Er vergleicht ihr Tun mit einer Art „Wettvorhersage für die Produktion“. Es gehe um Prognosen von Systemverhalten und die Optimierung von Abläufen – etwa darum, ob ein Unternehmen in drei Monaten die Kapazitäten hat, um einen Großauftrag abzuarbeiten.

2013 hätten die Vorarbeiten für die Ausgründung begonnen – zunächst in der Freizeit und parallel zur Arbeit an der Uni. Vor einem Jahr dann der Start des Unternehmens mit einem weiteren Partner. „Die Technologie-Gründerstipendien haben gereicht, dass die Firma nicht unser Einkommen erwirtschaften musste“, berichtet Schönherr. Das Spin-off schaffe nun im ersten Jahr einen sechsstelligen Umsatz.

Ihr Team wächst – auch mit seinen Aufgaben. „Derzeit arbeiten wir gemeinsam mit über 200 Firmen und Hochschulen am größten Industrie-4.0-Projekt Europas“, sagt Schönherr. Mehr will das Duo nicht verraten. Die 50 000 Euro Preisgeld vom Bahn-Wettbewerb sollen in das Wachstum ihres Unternehmens fließen. Von derzeit zwölf Mitarbeitern der Softwareschmiede, je sechs in Voll- und Teilzeit, arbeitet eine Handvoll am DB-Projekt. Jetzt wird ihre Erfindung bis Ende 2017 bei DB Regio in Bayern getestet. Um statistisch belastbare Werte zu bekommen, brauche das Pilotprojekt ein ganzes Jahr, sagt Elias Winter. „Und es muss ja auch erst mal in den Köpfen der Mitarbeiter ankommen.“ Die größte Herausforderung sei es, alle Richtlinien des Konzerns – von der Sicherheit bis zum Datenschutz – in der App zu verankern. „Wenn wir das dort hinkriegen, schaffen wir es für alle“, ist Winter Optimist.

Müssen sich Reisende in Deutschland dank der Innovation von Saxony Media Solutions künftig weniger oft vor Bahnstreiks fürchten? „Die DB-Mitarbeiter bekommen über unsere Software zwar mehr Mitsprache und Freiheiten, aber die Entkrampfung der Lage ist ausschließlich Sache der Tarifparteien“, sagt Firmenchef Schönherr. Für den Friedensnobelpreis wird es demnach nicht reichen. Vielleicht aber zum Champion „Sachsen gründet – Start-up 2017“?

 

Text: Michael Rothe
Foto: T. Kretschel

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