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Sachsens ganz spezieller Gründerkönig

Bernd Wacker, Chef der eco.Softfibre GmbH, inmitten von Schallabsorbtions-Trennwänden – bestückt mit dem von ihm erfundenen Bioschaumstoff. Die Einsatzpalette des Materials ist noch größer: etwa in Möbeln und Autositzen – und in seiner Fliege.

Bernd Wacker und Wolfgang Coutandin wissen, wie man den Umweltsünder Polyurethan in Möbeln, Schuhen, Autositzen ablöst. Dafür wurden sie als »Sachsens Start-up des Jahres« geehrt. Doch es gibt ein Problem.

Die 250 Gäste bei Sachsens Unternehmerpreisgala in Dresdens Gläserner VW-Manufaktur staunen nicht schlecht, als sich der Mann am Rednerpult einen Schuh auszieht und ihn mit einem Messer anschneidet. Er hält die freigelegten Innereien in die Höhe und fordert die anwesenden Herren auf, es ihm gleichzutun. Und die Damen mögen doch mal ihre Handtaschen zur Hand nehmen ... Dann geht er zum Tisch von Sachsens Ministerpräsident

Michael Kretschmer, schenkt ihm einen Schlips aus Schaumstoff, um letztlich kleine Äpfel und Ananas aus jenem Material ins Publikum zu werfen. It’s Showtime!

Der skurrile Auftritt vom vergangenen Freitagabend gehört zum 3-Minuten-Pitch von Bernd Wacker um Sachsens Gründerkrone, in dem der Chef der eco-Softfibre GmbH in Görlitz darauf hinweist, wie viel umweltschädliches Polyurethan jeder und jede mit sich trägt. In deutschen Haushalten gebe es Weichschaumstoffe aus im Schnitt 500 Litern Erdöl: in Matratzen, Schuhen, Bekleidung, Haushaltswaren, im Autositz, im Bürostuhl – auch im Restaurant, Auto, Schiff, Flugzeug oder der Bahn.

All das kann sein 2020 gegründetes Unternehmen durch einen Bioschaumstoff aus Naturfasern ersetzen – bei gleicher Funktionalität. Das Besondere der Belegexemplare, die der 57-Jährige aus den großen Taschen seiner Handwerkerhose kramt: Sie sind emissionsfrei, recycelbar, schwer entflammbar, biologisch abbaubar. Wie die Krawatte für den Premier und die auffällige Fliege, die er selbst trägt.

Wacker, ein gebürtiger Zittauer, kennt solche Wettbewerbe – wie Siegerurkunden von der Future Automotive Production Conference in Wolfsburg, der TexTech in Mönchengladbach und vom Businessplan Wettbewerb Nordbayern belegen – gleich neben den Pokalen in seinem Büro: dem Deutschen Rohstoffeffizienz-Preis des Bundeswirtschaftsministeriums, dem German Design Award „Ecodesign“, dem Materialpreis der Raumprobe OHG Stuttgart.

Wo sich Wacker im Wettbewerb stellt, gewinnt er auch mit seinem revolutionären Produkt aus Lederabfällen. Einzige Ausnahme: die »Höhle der Löwen«. In der TV-Show präsentieren Start-ups Investoren Geschäftsmodelle, um sie zu Investments in die Firma zu bewegen. Der Sachse war mit Sohn Christian im Vox-Studio – und kam ohne Deal zurück. »Toller Auftritt, tolle Alternative«, hieß es von den dort auf Konsumprodukte spezialisierten Löwen. Ihnen missfiel aber die Bewertung von 500.000 Euro für zehn Prozent der Firmenanteile.

Waren die Gründer mit ihrer Forderung zu gierig? »Nein«, sagt Wacker, sie könnten alles exakt skalieren. Als Pleite sieht er den Auftritt dennoch nicht. »Wir hatten eine gewaltige PR – und nur Reisekosten«, bilanziert er den Ausflug nach Köln. Nach der Ausstrahlung habe er viele Anfragen erhalten, sagt er: aus Fernost, Frankreich – nicht aus Deutschland. Hiesige Geldgeber scheuten das Risiko, kritisiert er. »Es wird nur investiert, wenn die Rendite sicher ist.« Die Chance, dass aus den veranschlagten drei Millionen Euro Unternehmenswert 30 Millionen werden, stehe bei 50:50.

Der Elektromonteur mit Abi hatte nach Lehre und Armeezeit Kraftwerkselektronik studiert und nach der Wende verschiedene Branchen mit Elektrotechnik bedient, ehe er sich mit Wolfgang Coutandin (72), einem Chemiker im Ruhestand, selbstständig gemacht und das Gewerbe 2020 angemeldet hat – am Tag vor dem 1. Lockdown.

Zwei Jahre zuvor hatte er bei einem Kunden in Italien eine Lederfalzmaschine entdeckt und sich für deren Abfälle interessiert: Rohfalzspäne. Das wie Sägemehl aussehende Material wird derzeit noch ungenutzt verbrannt oder landet auf der Deponie. Dabei könnten jene Reste aus Gerbereien die weltweite Polyurethanerzeugung mehr als ersetzen, ist Wacker überzeugt. Allein in Deutschland fielen pro Jahr 10.000 und weltweit zwei Millionen Tonnen an. Der Mann hat recherchiert, in der Küche experimentiert und nach drei Monaten die richtige Rezeptur gefunden. Die Hautreste werden erst gehäckselt, dann zu einem Sud verarbeitet, gegebenenfalls gefärbt und bei 50 Grad getrocknet. Bunte Schallabsorber-Trennwände, neben dem Musterbau für Bürostühle derzeit Wackers einziges Geschäft, zeigen, dass mit dem neuen Material Hingucker möglich sind. »Jedes Stück ein van Gogh«, scherzt er. Der Umsatz ist aber fast zu vernachlässigen.

In seiner Manufaktur mit drei Mitarbeitenden und zwei Volontären geht es zu wie beim Bäcker. Tatsächlich ähneln sich die Gerätschaften, und die Wagen mit den Backblechen haben gar den gleichen Hersteller. »Wir brauchen keine Sondermaschinen«, sagt der Chef, der seit 1992 im mittelfränkischen Herzogenaurach lebt und nach Görlitz pendelt. Noch fühlt sich sein kleines Team, darunter Ehefrau und Sohn, im Innovationscampus von Siemens mit seiner Infrastruktur gut aufgehoben. Soll der Sprung zur Serienfertigung gelingen, braucht es aber einen neuen Standort.

Der Gründer hält nicht nur nach einer Fläche Ausschau, sondern auch nach industriellen Nachbarn, deren Abwärme von 80-100 Grad Celsius er nutzen will. Wacker hat einen Standort bei Dresden und einen  jenseits des Freistaats im Blick. Noch ist sein Ökoschaumstoff zehnmal so teuer wie einer aus Erdöl. Durch industrielle Produktion könnte der Nachteil schrumpfen. Jetzt sucht der Ex-Tagebaukumpel dringend »Kohle«: 4,3 Millionen Euro fürs Equipment. Die Anlaufkosten veranschlagt er mit einer weiteren Million, hofft aber auch auf Lausitzer Strukturwandelhilfen.

Wackers selbstbewusster Auftritt bei der Unternehmerpreisgala hinterlässt Eindruck, sein Schuhopfer hat sich gelohnt. Das Publikum wählt sein Unternehmen unter den sechs Finalisten zu »Sachsens Start-up des Jahres«. Neben der Urkunde gibts ein Werbebudget von 60.000 Euro in Sachsens drei großen Tageszeitungen.

Wichtiger als der Gutschein ist das Renommee. Denn der Unternehmer und sein Team brauchen dringend einen Investor. Am besten auch einen Business Angel mit Netzwerk, der ihnen beratend zur Seite steht, um das zum europäischen Patent angemeldete Produkt in Größenordnung herzustellen. Der je dreifache Vater und Großvater ist von sich und seiner Weltneuheit überzeugt. Seine Maxime: »Vorsprung durch Technology«.

Aber eco.Softfibre hat Zeitdruck. »Wir wollen ein Schnellboot sein, und können nicht auf Supertanker warten«, so Wacker. Bei der Preisverleihung setzt er deutschen Geldgebern ein Ultimatum: »Wenn sich in den nächsten sechs Monaten nichts tut, bin ich weg«, droht er. Das kommt nicht bei allen gut an, war als Weckruf aber mal nötig.

Text: Michael Rothe

Foto: Veit Hengst

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