Die 45Minuten GmbH in Dresden ist Sachsens bestes Start-up. Ihre Online-Plattform revolutioniert den Unterricht - und erleichtert Lehrkräften die Arbeit.
Dresden. Als Saskia Rhiza das Publikum bei Sachsens Unternehmerpreisgala fragt, wer im Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis eine Lehrkraft kennt, melden sich viele der 270 Gäste. Die Pädagogin trifft in Dresdens gläserner VW-Manufaktur sofort den Nerv für ein Problem, dem sie und Lebenspartner Robert Reuther sich angenommen haben: zeitaufwendige Unterrichtsvorbereitungen. Sie zu minimieren und gleichzeitig die Qualität der Schulstunden zu verbessern - das ist das Geschäftsmodell ihres Start-ups, der 45Minuten GmbH in Dresden.
Die Pädagogin, fünf Jahre Gymnasiallehrerin für Deutsch, Geschichte und Mathe, spricht in ihrer Drei-Minuten-Präsentation von Schreibtischarbeiten, die bis spät in den Abend dauern und auch einen Großteil des Wochenendes einnehmen. So brauche eine 90-minütige Geschichtsstunde in Klasse 8 zwei bis drei Stunden Präparation. Wenn man sieben Stunden halte müsse und am Vortag noch nichts habe, sei das »ein enormer Leidensdruck«.
»Deshalb haben wir uns die Frage gestellt, warum nicht alle Lehrkräfte ein paar der Stunden, die sie selbst kreiert und die gut funktioniert haben, in einen Topf werfen, sodass sie regelmäßig in vielen Klassenzimmern eingesetzt werden«, sagt die 32-Jährige. Dafür hat das Paar eine digitale Plattform ins Leben gerufen - anfangs im Ehrenamt und seit gut einem Jahr zum Broterwerb.
Während Corona aus der Not eine Tugend gemacht
Die Geschichte begann im Frühjahr 2020, als Schulen wegen Corona geschlossen waren und Unterricht nur Online stattfinden konnte. Die Dresdner fingen an, Lehrfilme und Arbeitsmaterial für Homeschooling kostenlos via YouTube zur Verfügung zu stellen. »Schnell erwuchs in den sozialen Medien eine größer werdende Community mit dem Wunsch nach mehr«, blickt Robert Reuther - zehn Jahre Oberschullehrer für Religion, Deutsch, Ethik - zurück. So sei das Konzept der »Sternstunden« entstanden, unter Pädagogen ein geflügeltes Wort für besonders gelungenen Unterricht.
Die Website www.45-minuten.de bietet vollständige Stundenvorbereitungen an samt Verlaufsplan, Arbeitsmaterial und Lösungsblättern. Dort können Lehrkräfte durch Einreichen einer eigenen Präsentation unentgeltlich auf nunmehr über 3500 Stunden zugreifen. Sie werden vorab auf Vollständigkeit, didaktische Eignung und Urheberrechte geprüft. Die Downloads sind vor allem für Berufsanfänger und Seiteneinsteiger eine große Hilfe, wie dem Paar immer wieder dankbar bescheinigt wird.
Wer nichts beisteuern möchte, kann ein Jahresabo für 99 Euro abschließen – für alle Schulformen, Klassenstufen und Fächer. Auch Schullizenzen sind möglich. Mittlerweile gebe es 1.400 Kunden im deutschsprachigen Raum, sagt Robert Reuther, der die geschützte Marke sogar weltweit etablieren will. Die Plattform wachse monatlich um 50 bis 60 Sternstunden - vor allem im Großraum Wien und in Nordrhein-Westfalen, wo akuter Lehrermangel herrsche.
77.000 Follower bei Instagram
Das Geschäftsmodell funktioniert auch ohne Fördergeld und Kredite. Nur für einige Digitalprojekte gibt es Zuschüsse. »Wir machen pro Monat im Schnitt gut 20.000 Euro Umsatz«, sagt der 35-Jährige, der als Solist gestartet war und bereits 2024 schwarze Zahlen bilanzierte. Der Instagram-Account mit 77.000 Followern generiere zusätzlich Gewinne aus Kooperationen mit Bildungsträgern.
Zum Jahreswechsel wurde dann die gemeinsame GmbH gegründet, die von drei freien Mitarbeiterinnen in Freiburg, Bilbao (Spanien) und Trondheim (Norwegen) sowie zwei Programmierern unterstützt wird. Konkurrenz durch künstliche Intelligenz nehmen die Gründer gelassen. Entscheidend sei die menschliche Komponente, sagen sie, »und wir können die Instanz auf Qualität prüfen«.
Stört das zersplitterte deutsche Bildungssystem unter Länderhoheit? »Zum Glück sind die Lehrpläne kompetenzorientiert, Inhalte weniger entscheidend«, so Rhiza. Es gebe Filterfunktionen nach Regionen, und so könne in Aachen Karl der Große und in Sachsen August der Starke im Mittelpunkt stehen.
Ziel: das digitale Klassenzimmer werden
»In Deutschland gibt es eine Million Lehrkräfte. Würden uns nur ein Prozent unterstützen, wäre das ein Riesenerfolg«, sagen die Unternehmer. Im nächsten Schritt suchen sie Mitstreiter, die ganze Unterrichtseinheiten beisteuern: von der Einführung bis zur Klassenarbeit. Auch Berufsschulen sind stärker im Fokus. Das Ziel: »Wir wollen das digitale Klassenzimmer mit jeder Art von Austausch werden.«
Das Paar hat den Abschied vom eigenen Lehrerdasein keine Minute bereut. »Wir machen eine total sinnstiftende Arbeit und können für 80.000 Lehrer und ihre Schüler in Sachsen mehr bewirken als vor einer Klasse«, sagt Rhiza. Das Credo und seine Umsetzung bescherten bereits diverse Preise.
Nun ist das Duo, dessen Sohn im Herbst in die Schule kommt, auch Sachsens »Start-up des Jahres«. Ihr Teilhabemodell zeigt, wie Bildung digital, fair und praxisnah organisiert werden kann. Ein ermutigendes Signal in Zeiten massiver Proteste gegen die Rotstiftpolitik von Sachsens Kultusministerium - und mehr als eine Sternstunde für Lehrer und Schüler.
Der Wettbewerb »Sachsens Unternehmer:in des Jahres« ist eine Initiative von Sächsischer Zeitung, Freier Presse, Leipziger Volkszeitung und MDR sowie von Volkswagen Sachsen, der LBBW, der Schneider + Partner Beratergruppe, der Gesundheitskasse AOK PLUS, der Sächsischen Lotto-GmbH und von »So geht sächsisch«.
Text: Michael Rothe
Foto: Claudia Jacquemin